Einführungsrede zur Ausstellungseröffnung „die reise des gilgamesch“ am 15.10.2001, Botanischer Garten Bonn Prof. Dr. Heijo Klein (Kunsthistorisches Institut der Universität Bonn)

Sehr geehrte Damen und Herren!

An diesem schönen Spätsommertag verbinden sich hier im Botanischen Garten Natur und Kunst auf eine besonders geglückte Weise. Sie, verehrter Herr Kollege Barthlott, haben als Direktor des Botanischen Gartens auf die Seite der Natur hingewiesen; ich möchte als Kunsthistoriker die künstlerische

Seite der Arbeiten von Ansgar Beer in dieser Umgebung hervorheben – mit dem barocken Schloß und seinem Garten seltener Pflanzen, und mit den Gewächshäusern, die mit ihren ägyptisierenden Formen zugleich den anderen histroischen Raum andeuten und hinüber leiten in jene noch fernere Welt, in der das Epos entstand, dem Beers Arbeiten gelten.

Sie werden dort eine ungewöhnliche Ausstellung sehen, die auf eine sehr eigenwillige Weise, Kunst und Geschichte, Mythos und Natur verbindet. Inmitten einer üppigen tropischen Vegetation stellt Ansgar Beer* seine Bilder vom Gilgamesch-Epos aus, jenem großartigen Werk, das zwischen Wüstenei und Fruchtbarkeit im Vorderasiatischen Zweistromland entstand.

Der Künstler interpretiert dieses Epos aus der Sicht des beginnenden 21. Jahrhunderts, setzt die Bilder vom Flugzeug, Airport und Elektronenmikroskopie ein, um den zeitlosen Mythos in der Zeitlosigkeit der Natur dieser Umgebung des Gewächshauses zu zeigen.

[...] Das Epos, auf zwölf Tontafeln aus der Zeit um

1200 v.Chr., in Keilschrift geschrieben, und stammt aus der Bibliothek des letzten Königs der Assyrer Assurbanipal (669 bis 667 v. Chr.) in Ninive.

Der Künstler Ansgar Beer nimmt formal auf den Zyklus der Tontafel bezug, indem er seinen Bildzyklus in zwölf Doppeltafeln gliedert - damit zugleich auf die Dualität von Gilgamesch und Endiku hinweisend. Lassen Sie uns dem Zyklus dieser Bilder folgen.

 

II.

Die erste Doppeltafel führt in das Thema ein, indem dieLandkarte des Zweistromlandes mit dem Text verbunden wird und die Protagonisten vorgestellt werden (1).

Die zweite Doppeltafel, der Kampf zwischen den beiden und deren Freundschaftschluß bezeichnend, wird durch das Gegenüber der für Gilgamesch stehenden Zikkurat und dem Gegenüber des diesem nachstrebenden Endiku durch die Vermischung der Formen dargestellt, da Endiku aus der Erde kommend, in den Lehmziegeln das Verbindende

aufscheint (2).

Der Kulturschock für den Wildmenschen in seiner neuen Umgebung wird vom Künstler nun durch den modernen Parameter dargestellt: der Text auf der Anzeigetafel des Airports, zugleich die Reise ins Ungewisse: das „Exit" - was verbirgt sich dahinter? Denn Gilgamesch und Endiku begeben sich auf die Reise zum Zedernwald im Libanon – daher die Anzeige „Beirut" – wo sie gegen dessen Wächter, den Riesen Chumbaba kämpfen werden (3).

Der Rhythmus der Verse wird durch Zahlen im Bild dargestellt, die Einnahme eines Imbiß den Alpträumen entgegen gestellt, den Katastrophen von Trockenheit, Erdbeben und Feuer (4).

Da sie den Riesen besiegt haben, treten sie mit ihrer Trophäe aus Zedernholz den Heimweg an. Im Bild wird „Cedrus libani" als elektronenmikroskopische Aufnahme einer Zedern-Nadel dargestellt und die Fotografie mit ihrer Bezeichnung

übernommen. Ein erhaltenes Steinrelief mit dem Bild Chumbabas wird den mikroskopischen Bildern

angeglichen (5).

Nun wirbt die Liebesgöttin Ischtar um Gilgamesch, der sie jedoch abweist. Der nun gegen ihn gehetzte Himmelsstier erscheint im Bild, umgesetzt als Rind mit Identifikations­Ohrknopf und heutiger Laborantin – der Kampf gegen den Stier heute im Labor (6).

Der Frevel an Zedernwald und Himmelsstier wird von den Göttern durch eine tödliche Krankheit geahndet, die Endiku straft. Diese Situation der ausweglosen Einsamkeit wird vom Künstler durch die nächtlichen Straßen mit Kreuzung und Überführung ohne Menschen dargestellt (7).

Nach dem 12 Tage andauernden Todeskampf stirbt Endiku, und Gilgemesch errichtet ihm ein kostbares Bildnis zur Erinnerung. Dieses wird als Flugplatz dargestellt, mit einer ins Unendliche führenden Straße,deren Ziel jedoch das goldene Bild der Erinnerung ist (8).

Gilgamesch folgt jedoch Endiku in die Unterwelt, hier dargestellt durch den Flughafen mit der Toteninsel. Zahlen geben den Weg der Zwölf-Tagereise an, darüber die schwarze Sonne (9).

Gilgamesch sucht nun das Ewige Leben, doch am Gewässer des Todes wird ihm bedeutet: „Das Leben, das du suchst, wirst du sicher nicht finden!" Das Gewässer des Todes,die Unbestimmtheit des darauf Folgenden, wird im Bild angedeutet (10 - dieses ist auf der Einladung abgebildet). Gilgamesch aber möchte Utnapischtim, dem Helden der Sintflut, nacheifern, der als einziger Überlebender die Unsterblichkeit erlangte. Statt jedoch wie dieser mit seinem würfelförmigen Schiff auf der Bergspitze zu überleben, rät er ihm dieser Überlebende der Sintflut, die Pflanze der Unsterblichkeit zu pflücken (11a). Gilgamesch begibt sich in den gleichfalls würfelförmigen Süßwasser-Speicher unter der Erde, im Bild die Unsterblichkeitspflanze als DNA-Sequenz dargestellt, steht gegenüber den „Gefährdeten Arten" der Roten Liste der Arche. Doch eine Schlange frißt die Pflanze und besitzt nun die Fähigkeit, sich stetig zu verjüngen durch Häutung (11 b).

Die zwölfte Tafel greift noch einmal zurück auf Endiku als Knecht Gilgameschs, der dessen Trommelstöcke als Machtzeichen zurückholen will, und sie in der Unterwelt sucht. Von dort jedoch kehrt er nur als Totengeist zurück und spricht: „Sag ich dir die Ordnung der Erde, die ich schaute, du müßtest dich setzen und weinen!" Diese Schluß-Apotheose wird darüber hinaus durch die Namen der Arten von Tieren in der einen, von Pflanzen auf der anderen Seite dargestellt, dazu der Stammbaum der mesopotamischen Götter (12).

III.

Die Nutzanwendung aus dem Epos wird schließlich in drei einzelnen Bildern vorgeführt, indem drei Lebensentwürfe dargestellt werden: der Rat des Fährmanns über den Fluß zur Unterwelt: „Enjoy – feiere", hier symbolhaft durch Rot, der Farbe des Lebens schwungvoll angedeutet. Als weiteres der Rat des Helden der Sintflut: „Share – teile" (deinen Reichtum, kümmere dich um sie, teile mit den Armen), auch dieses symbolhaft dargestellt durch das Zentrum der schwarzen Fläche, in die von außen das Gold gleichsam in den dunklen Raum dringt. Schließlich das Vorgehen Gilgameschs: „Build - ­baue!" - Steig auf die Mauer von Uruk!", der archäologische Plan der assyrischen Stadt im Zentrum, umgeben vom

goldenen Ring jener Mauer, die Gilgamesch errichtet hatte. So beginnt der Held in Uruk und endet auch dort.

So läßt uns der Künstler teilhaben an seiner Interpretation des altorientalischen Mythos. Diesem vorderasiatischen Raum des Zweistromlandes hatte sich der Künstler zuvor in mehreren Zyklen eingehend zugewendet: im Zyklus „Genesis", dem Thema des Granatapfels als Symbol von Fruchtbarkeit, Liebe, Tod und Auferstehung und seiner Bedeutung als Symbol der Göttin Ischtar in ihrem zentralen Tempel in Uruk. In dem Zyklus „Zweistromland" wird der

poetische Test kalligraphisch einbezogen und auf symbolhaft andeutende Zeichen bezogen.